2016 – Thema B – Andreas Gerstenmayer


Red’s net, tuat’s! (Zitat, das Erzherzog Johann zugeschrieben wird)

Uns geht’s (noch) gut: Die Lebensqualität in Österreich stagniert auf hohem Niveau. Bei Indikatoren wie dem BIP pro Kopf oder dem Haushaltseinkommen pro Kopf liegen wird auf dem 2. Platz innerhalb der EU. Unsere Lebens­zu­friedenheit schätzen wir durchschnittlich mit 7,8 auf einer Skala von 1–10 ein. Beim Better Life Index der OECD liegen wir mit Platz 15 im guten Mittelfeld.

Ein Blick auf die Dynamik zeigt jedoch eine negative Tendenz bei vielen Indikatoren. So sind die Haus­halts­ein­­kommen pro Kopf gerechnet seit 2012 rückläufig. Die Ent­wicklung der Ein­kommen verläuft schlechter als im EU-Schnitt.

Dringender Handlungsbedarf: Ein zentraler Faktor für Wohlstand ist wirtschaftlicher Erfolg – die wirtschaftliche Leistung korreliert mit wesentlichen Aspekten sozialen und gesellschaftlichen Wohlstands. Auffallend ist, dass in sämtlichen Rankings zur Lebensqualität UND Wirtschaft die skandinavischen Länder vorne liegen.

In internationalen Wirtschaftsrankings ist Österreich max. durch­schnittlich, nicht in den Top 20 und fällt weiter zurück. Konkret sind wir zwischen 2008 und 2015 im WEF-Index von Rang 14 auf 23, beim IMD-Ranking von 14 auf 26 zurückgefallen. Die Wettbewerbsfähigkeit sinkt, die Wirt­schaftsstimmung ist im Keller, die Arbeitslosigkeit steigt, Überbürokratisierung blockiert die Betriebe.

Die gerade für Österreich als kleine offene Volks­wirt­schaft mit hohem Exportanteil und Lohnniveau erfolgs­kritische Innovations- und Produktivitätsdynamik zeigt sich ebenfalls schwach. Im European Innovation Scoreboard sind wir mit Platz 10 nur Mittelmaß und nicht mehr in der Gruppe „Innovation Leader“ (zuletzt 2009 mit Rang 6). Unsere Produktivität entwickelt sich negativ und wird aufgrund fehlender Investitionsanreize weiter gefährdet. Kritisch ist der Fachkräftemangel bei gleichzeitig steigender Arbeits­losigkeit (Strukturproblem).

Die Politik scheint überfordert, erstarrt im Status quo und hat kein Konzept, diese negative Dynamik zu stoppen. Österreichische CEOs schätzen die wirtschaftlichen Aus­­sichten und die künftige Entwicklung noch pessi­misti­­scher ein als ihre aus­ländischen Kollegen. Der Wirt­schafts­stand­ort braucht dringend einen starken Moti­vations­schub und eine aktive umsetzungsstarke Wirt­schafts­politik.

Kein Wissens-, sondern ein Umsetzungsproblem: Die The­men liegen am Tisch, werden von der Wirtschaft man­tra­artig eingefordert und auch von der Politik erkannt. Dieser Reformstau lähmt die Wirtschaft und wie von der Industriel­lenvereinigung befürchtet, werden die großen Reformthemen wie Föderalismus, Sozial­part­nerschaft, Sozialversicherung, Gesund­heits­wesen, Bil­dung nicht „an­ge­griffen“. Von den vielen guten Ideen des Ver­fassungs­konvents sowie den über 1.000 Reform­vorschlägen des Rechnungs­hofes wurde nichts umgesetzt.

Diese Umsetzungsprobleme und Beharrungskräfte schei­nen systemimmanent und sind auf die politischen Ent­­­scheidungs­strukturen zurückzuführen. „Der Standard“ dia­­gnosti­ziert, dass Österreich in jenem Dilemma steckt, das der US-Ökonom Olson vor mehr als 30 Jahren be­schrieben hat. Er zeigt in „Aufstieg und Niedergang von Nationen“ auf, wie Interessensgruppen die Macht über­nehmen und für ihre eigenen Vorteile, aber gegen die der Gemeinschaft arbeiten und Wettbewerb mit aller Kraft verhindern. Je mehr Einfluss diese „umver­teilenden Koalitionen“ haben, desto niedriger fällt das Wirtschaftswachstum aus. Nur ein politischer Schock (Krieg, tiefgreifende Krise) kann solche Lobbys schwächen und leitet dann eine Phase von starkem Wachstum ein. Jahrzehntelange Stabilität aber lässt die Gruppen immer stärker werden und führt zu ökonomischer Stagnation.

Unsere Krise scheint nicht tief genug bzw. zu sanft und schleichend, um die Macht der Interessensgruppen zu brechen und eine Reform­agenda umzusetzen. Dazu kommen die poli­tischen Strukturen in Bundesländern sowie dominante Parteiinteressen und Klientelpolitik, die eine wirk­liche Sachdiskussion verhindern und über­par­tei­liche Initiativen schwierig machen (positive Aus­nahme z.B. Reform­partnerschaft in der Steiermark) sowie eine äußerst ver­änderungsresistente Gesellschaft auf allen Ebenen (von der Gemeinde bis zur EU).

Von anderen lernen: Reformvorbilder wie Däne­mark und Schweden sind signifikant besser darin, unter­schied­liche Interessen intelligent zu verknüpfen (z.B. von Arbeit­gebern und Arbeitnehmern; freie Marktwirtschaft mit um­fas­sen­dem Sozialstaat), auch unpopuläre Maßnahmen in über­partei­lichen Initiativen zu beschließen (Regierung und Oppo­sition gemeinsam) und konsequent umzusetzen.

Die lähmenden Blockaden können nicht durch Einzel­maßnahmen, sondern nur durch große Reformpakete und eine starke Allianz gegen die breite Front der Verhinderer gelöst werden. Also: Red’s net, tuat’s!


Über Andreas Gerstenmayer

Absolvent der Studienrichtung Produktionstechnik an der Fach­hoch­schule Rosenheim. Seit 2010 Vorstandsvorsitzender des Leobener Leiter­platten­her­stellers AT&S Austria Technologie & Systemtechnik AG. Seit 2012 Vorsitzender des Forschungsrates Steiermark. [Foto: © Marija M. KANIZAJ]