// Es geht um die gesellschaftliche Kohäsion //
Begreift man den Begriff des Sozialen aus seiner etymologischen Wurzel als Ausdruck für Kohäsion einer Gesellschaft, ist die Entwicklung des Themenfeldes „Soziales“ in den letzten Jahren ambivalent: Auf der einen Seite steht das Bemühen um weitere Verbesserungen im Bereich der Transferleistungen und Steuerbegünstigungen, auf der anderen Seite stehen heftige politische Auseinandersetzungen im Bestreben, die Entwicklung im Sozialbereich weithin als desaströs zu kommunizieren und getroffene Entscheidungen möglichst bald wieder umzustoßen. Der Kohäsion der Gesellschaft und dem nachhaltigen Vertrauen in die Stabilität des Systems ist damit nicht gedient.
Ein gänzlich anderes Bild zeigt sich seit einiger Zeit nur in jenen Fragen, in denen die Sozialpartner mit Billigung der Regierung konsensual agieren. So wurde beispielsweise bezüglich der Kurzarbeit und der Fonds zur Entlastung der Selbständigen in der Coronakrise in der Öffentlichkeit ein positives Bild der sozialen Effekte vermittelt, obwohl viele ökonomischen Effekte fragwürdig sind. Außerdem wurden administrative Probleme der Abwicklung der Regierung zugeschrieben, obwohl sie Ergebnis der technisch-handwerklich mangelhaften Gestaltung durch die Sozialpartner sind.
All dies hängt damit zusammen, dass in der Gesellschaft offensichtlich Grundkonsense über die Bewältigung von Effekten technologischer Entwicklungen, Effekten der Alterung der Gesellschaft und Effekten der globalen Verflechtung einer nach wie vor weitgehend auf Freihandel setzenden Weltwirtschaft fehlen. Der aus den Erfolgen in der Vergangenheit genährte Wunsch nach Geborgenheit in der Sozialpartnerschaft auch heute birgt allerdings die Gefahr in sich, dass notwendige Anpassungen des Arbeits- und Sozialrechts sowie des Abgabenrechts nicht, nur zögerlich oder gar unter Außerachtlassung anderer Interessen als jener der Sozialpartner erfolgen. Damit ist insbesondere die intergenerationale Kohäsion der Gesellschaft gefährdet.
Die Nagelprobe der gesellschaftlichen Kohäsion besteht freilich nicht darin, die Lösung gesellschaftlicher Probleme dem Konsens ausgewählter Interessenvertretungen anzuvertrauen, sondern gelingt, wenn die demokratisch legitimierten Vertreter im parlamentarischen Prozess aufeinander zugehen, um einen umfassenden Interessenausgleich zu erreichen und Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren.