2021 – Martin Polaschek


// Neue Entscheidungsprozesse und Hierarchien //

2020 feierte das B-VG seinen 100. Geburtstag. Geschaffen in einer Zeit, als die Telefonie noch am Anfang stand und Ver­waltungsdokumente zum Teil noch mit der Hand geschrieben wurden, bedürfen die staatlichen Strukturen einer grundlegenden Erneuerung und Anpassung an die Gegebenheiten des elektronischen Zeitalters. Klar ist, dass sich die staatlichen Strukturen und die Methoden der Politik ändern müssen, wollen sie den Anforderungen, die von „außen“ (also der Europäischen Union) und von „innen“ (den Bürgerinnen und Bürgern des Landes) an sie gestellt werden, genügen. Die Konkurrenz auf dem gemeinsamen Markt wird zunehmen, die Währungsunion weiter die Haushaltspolitik determinieren und die fort­schreitende Integration das Schwergewicht der politischen Entscheidungen und Rechtschöpfung vermehrt dem Bund und den Ländern entziehen.
Daraus entsteht eine Funktions- und Legitimationskrise, da das Bedürfnis der Menschen nach Identität und „Heimat“ ein „vollwertiges“ Bezugsobjekt verlangt. Daneben werden die Ansprüche an den leistenden Staat weiter wachsen. Die fortschreitende Fragmentierung der Gesellschaft und der Wunsch nach individuell angepassten Lösungen sind mit dem herkömmlichen Regelungsinstrumentarium allgemein geltender Gesetze nur mehr schwer zu bewältigen. Vielmehr werden neue Entscheidungsprozesse und Hierarchien entstehen müssen.


Über Martin Polaschek

Studium der Rechtswissenschaften, Habilitation für Österreichische und Europäische Rechtsentwicklungen, Rechtliche Zeitgeschichte und Föde­ralis­musforschung, Ernennung zum außerordentlichen Uni­ver­sitäts­professor. 2003 bis 2019 Vizerektor und Studiendirektor, seit Okto­ber 2019 Rektor der Universität Graz. Forschungsfokus in den Be­reichen Nach­kriegsjustiz, Universitätsrecht und Kommunalforschung. [Foto: © Harald Eisenberger]