// Wie bewahrt man den Basiskonsens in einer sich verändernden Welt? //
Aufhebung der Bundespräsidentenstichwahl 2016 wegen Rechtsverletzungen im Wahlverfahren; Verschiebung der zweiten Stichwahl wegen fehlerhafter Briefwahlkuverts; erster grüner Bundespräsident, nachdem im ersten Durchgang der Kandidat der FPÖ überlegen auf Platz eins lag; vorgezogene Neuwahlen 2017 und dann gleich wieder 2019; Ende der schon länger morbid wirkenden Großen Koalition, danach rasch wechselnde Regierungszusammensetzungen; „Ibiza“-Affäre; erstes erfolgreiches Misstrauensvotum gegen eine Bundesregierung; Einsetzen einer Beamt*innen-Übergangsregierung durch den Bundespräsidenten; weitreichendste Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte in der Zweiten Republik im Zuge der Covid-19-Pandemie samt nachträglicher Aufhebung wesentlicher Rechtsgrundlagen durch den Verfassungsgerichtshof …
Würde man nur auf diese politischen Ereignisse der letzten Jahre in Österreich blicken, könnte man wohl den Verdacht hegen, Österreich sei politisch ein instabiles Land – im Vergleich zur bisherigen Geschichte der Zweiten Republik ein sehr instabiles Land – geworden; allenfalls würde man Bezüge zur Ersten Republik herstellen. Weder im historischen, noch im internationalen Vergleich erhärtet sich freilich dieser Verdacht: Trotz dieser kaum für möglich gehaltenen Reihe an für Österreich bisher ungewöhnlichen Ereignissen weisen Demokratie und Rechtsstaat in Österreich nach wie vor hohe Stabilität, angesichts der krisenhaften Rahmenbedingungen einen hohen Grad an Resilienz, auf. Die vor 101 Jahren als Provisorium entstandene österreichische Verfassung hat sich jedenfalls bewährt, die Institutionen des politischen Systems – sowohl die verfassungsrechtlich eingerichteten als auch die diese vor allem informell ergänzenden wie Sozialpartnerschaft, Landeshauptleutekonferenz oder politische Parteien – sind, bei aller auch berechtigter Kritik, nach wie vor im Großen und Ganzen sicher tragende Säulen.
Dies kann einerseits beruhigen, andererseits darf es auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass geänderte soziopolitische Rahmenbedingungen und insbesondere die spürbar zunehmende Polarisierung in unserer Gesellschaft (Stichworte Populismus, Kosmopolitismus vs. Nationalismus, Social-Media-Blasenbildungen etc.) an den Funktionsleistungen von Verfassung und Institutionen nagen, dass Spaltungstendenzen (in der Covid-19-Pandemie noch diverser geworden) zu einer nicht zu unterschätzenden Gefahr werden könnten. Die Republik wird dann ernsthaft in keiner guten Verfassung sein, wenn ihre Grundlagen und Institutionen von mehr als nur verstreuten Außenseitern als nicht mehr legitim angesehen werden. Davon scheinen wir zum Glück weit entfernt zu sein. Umso mehr gilt es immer wieder, die entsprechenden Maßnahmen zu suchen und konsequent zu verfolgen, um den nötigen Basiskonsens in der Republik auch in einer sich in vielerlei Hinsicht deutlich verändernden Welt (Globalisierung, Digitalisierung, Post-Covid-19 etc.) weiter auf hohem Niveau zu bewahren.