2021 – Gabriel Felbermayr


// Kritische Reflexion ohne Scheuklappen //

Österreich wird in Brüssel oft als unbequem wahrgenommen. Das ist gut so. Denn das nachhaltige Gelingen des europäischen Integrationsprozesses erfordert zwingend eine kritische Reflexion sämtlicher Optionen ohne Scheuklappen. Aber der österreichische Beitrag darf sich nicht auf das Neinsagen beschränken. Was es braucht, ist ein konstruktives Angebot attraktiver Lösungen für das so wichtige europäische Integrationsprojekt. Dafür sollte sich Österreich in Zusammenarbeit mit anderen mittelgroßen EU-Mitgliedern stark machen.
Die Diskussion um den EU-Wiederaufbaufonds eignet sich als Beispiel. Als Rädelsführer der „sparsamen Vier“ hat sich Österreich auf Kollisionskurs mit Frankreich und Deutschland begeben, konnte letztlich aber nur symbolische Zugeständnisse erreichen. Durch die gemeinsame Schuldenaufnahme wird die Mitgliedschaft für den Nettozahler Österreich teurer; es ist aber keineswegs ausgemacht, dass sie auch wertvoller wird. In Zukunft muss sich Österreich früher und konstruktiver in solch wichtige Prozesse einschalten. Vor allem muss es akzeptieren, dass eine gemeinsame Währungsunion auch langfristig eine gemeinsame Fiskalpolitik erfordert und dass dafür ein deutlich größeres EU-Budget erforderlich sein wird. Österreich sollte sich dafür einsetzen, dass mit diesem Geld europäische Gemeinschaftsgüter wie transeuropäische Infrastruktur, Katastrophenschutz, Spitzenforschung und Landesverteidigung finanziert werden, die allen Mitgliedern nutzen, den ärmeren und peripheren sicher am meisten. Ein solches Budget würde im Konjunkturverlauf stabilisierend wirken, ohne dass unter enormem Stress zweifelhafte Ad-hoc-Maßnahmen erfunden werden müssten. Monetäre Transfers in die nationalen Budgets, egal mit welchen Verwendungsversprechen sie einhergehen, werden hingegen immer zuerst den nationalen Interessen dienen, sie werden die EU immer in Nettozahler und -empfänger teilen und Streitigkeiten provozieren.


Über Gabriel Felbermayr

Studium der Volkswirtschaftslehre in Linz und Florenz, Habilitation in Tübingen. Ab 2009 Universitätsprofessor an der Universität Hohen­heim, später Professor an der LMU München, an der Universität Kiel und schließlich an der Wirtschaftsuniversität Wien. Ab 2010 am ifo Institut für Wirtschaftsforschung in München, ab März 2019 Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft und seit 1. Oktober 2021 Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Wien. [Foto: © WIFO/Alexander Müller]