2021 – Elisabeth J. Nöstlinger-Jochum


// Vom Wissen zur Tat //

Nichts ist mehr, wie es war. Weitermachen wie bisher, keine Option. Die Antwort, welche Europa auf den globalen wirtschaftlichen Wettkampf, das Ringen um Menschenbilder und Weltanschauungen angesichts einer Pandemie zu geben hat, ist Wagnis und Chance zugleich.
Der Lockdown hat gezeigt, dass es möglich ist, das Rad langsamer zu drehen, die vor uns her rasende Zukunfts­erwartung zurückzufahren. Weniger kann mehr bleiben. Mehr an regionaler Produkt- und Lebensqualität, mehr an selbstbestimmter Arbeitszeit in einer digitalen Zukunft und weniger an Schadstoffausstoßen in einer CO2-gesättigten Welt. Es gibt einen Weg aus der Wirtschaftskrise und der heißt: Zusammenarbeit auf der Basis von wissen­schaft­lichen Erkenntnissen und wirtschaftlichen Not­wendig­keiten. Zusammenarbeit nicht aus Gründen der Selbst­losigkeit oder Solidarität, sondern weil es im Interesse aller sein muss, zu kooperieren. Nur durch einen internationalen Wissens-, Kunst- und Kulturaustausch kann Wohlstand gesichert und der soziale Friede gewährleistet werden. Neue Migrationswellen aus Afghanistan, der Klimawandel, aufstrebende Atommächte wie China und die Ablöse des Menschen durch Digitalisierungen werden uns vor große Herausforderungen stellen. Die Bedrohungen sind bekannt. Werden die Warnungen gehört? Bleibt die humanistische Idee, die Demokratie heißt und nicht die Diktatur der Mehrheit versinnbildlicht, „sondern das Bewahren der Würde und des Respekts jedes einzelnen“, (Julian Nida-Rümelin, Philosoph) eine Utopie?
Es gibt kein Zurück vor der Pandemie und mit den Aus­wirkungen der Lockdowns werden wir noch lange zu tun haben. Aber es gibt auch neue Chancen. Man denke an die digitalen Innovationen, die während des Lock­downs Unternehmen vorangebracht, Medien, Wissen­schaft und Kunst neue Möglichkeiten eröffnet haben. Jene Länder, die diese Technologie beherrschen, könnten ihr Wirtschaftswachstum in den kommenden 15 Jahren um bis zu 30 Prozent steigern. Dafür braucht es digitale Widerstandsfähigkeit, die nur durch ein weltweit koordiniertes Vorgehen erreicht werden kann.
Die G20-Regierungen injizieren in ihre Volkswirtschaften kombinierte Konjunkturmaßnahmen im Wert von neun Billiarden US-Dollar. Richtig eingesetzt kann diese Maß­nahme für die Erholung eines jeden Landes entscheidend sein. Sie kann für mehr Verteilungsgerechtigkeit sorgen und die unterbrochenen Wirtschaftsketten sinnvoller ver­knüpfen. Erst kürzlich wies die OECD in diesem Zusammen­hang darauf hin, dass koordiniertes Vorgehen zwischen den Ländern die Konjunktur­maß­nahmen „erheb­lich wirksamer“ machen würde und „unkoordinierte oder einseitige Maß­nahmen die sozialen und wirtschaft­lichen Kosten insgesamt erhöhen würden“. Covid-19 hat uns gezeigt, dass es keine Grenzen kennt. Das sollte uns mehr über die Verflochtenheit der Welt lehren. Die verletzte Zivilisation sollte Kraft aus der Krise gewinnen, um die wissen­schaftlichen Antworten auf die ökologischen Zukunftsfragen wie das Artensterben und die Übernutzung unseres Planeten in die Tat umzusetzen. So wird das Virus zum Impulsgeber für einen Wandel. Es wird der Treiber für eine digitale, ökosoziale Moderne.


Über Elisabeth Nöstlinger-Jochum

Wissenschaftsjournalistin und Kommunikationsprofi. Seit 1998 stän­diges Mitglied der ORF-Wissenschaftsredaktion. 2000 bis 2017 Pro­ducerin der der Ö1 Radio-Reihe „Salzburger Nachtstudio“, seit 2006 verant­wort­lich für die „City Science Talks“. Im August 2020 Gründung des Pod­casts „WissensART“. Außerdem Lehrende für Medien­kom­pe­tenz an der Medi­zinischen Universität Wien und Autorin. Mitglied in zahl­reichen wissen­schaftlichen und kulturellen Gremien.