2021 – Christiane Wendehorst


// Vordenken „Made in Austria“ //

Es sind Ereignisse wie die Covid-19-Krise oder auch dis­rup­tive Entwicklungen wie die Digitalisierung, welche den Bedarf nach innovativem Denken sprunghaft erhöhen. Und es sind die gleichen Ereignisse und Entwicklungen, bei denen Österreich sich wiederholt als Vordenker in Europa herausgestellt hat, und dies nicht nur bei der raschen und beherzten Bekämpfung der Pandemie – wie die deutsche Bundeskanzlerin Merkel im April 2020 mit anerkennendem Unterton bemerkte: „Österreich war uns immer einen Schritt voraus.“ Es dürfte auch kein Zufall sein, dass sich die deut­sche Bundesregierung gerade bei digitalen und anderen Zukunfts­themen oft und gerne in Österreich be­dient. Drei von neun Mitgliedern des deutschen Digital­rats stammen ursprünglich aus Österreich, eine von zwei Vorsitzenden der Datenethikkommission kommt von der Uni­versität Wien. Bei der EU-Kommission sieht es nicht anders aus: Eine Expertengruppe zur Haftung bei Künst­licher Intelligenz und anderen neuen Technologien etwa, die eigentlich dem Proporz zwischen den (seinerzeit noch) 28 EU-Staaten verpflichtet gewesen wäre, weist von 16 Mit­gliedern drei aus Österreich auf. Und auch das renommierte American Law Institute (ALI) wählt für sein einziges digitales Projekt einen der beiden Reporter aus Öster­reich. Unter der österreichischen Ratspräsidentschaft ist es nach acht Jahren des Ringens endlich gelungen, ein digitalisiertes Kaufrecht in Europa durchzusetzen, das vor der Vernetzung vieler Verbrauchsgüter nicht länger die Augen verschließt und das sich so drängenden Fragen wie Updates für eingebettete Software widmet – auf der Grundlage wissenschaftlicher Entwürfe aus Öster­reich, die im Umfeld des European Law Institute (ELI) ent­standen sind. Die Liste ließe sich fortsetzen. Dieser ebenso er­freu­liche wie frappierende Befund spiegelt sich allerdings nicht immer in einer entsprechenden Selbst­ein­schätzung in Österreich wider. Lässt man etwa Jour­nalisten­fragen Revue passieren, die einem gestellt werden, dann ist da viel von Resignation die Rede und vom angeblichen Hinter­her­hinken hinter den Anderen, gerade in digitalen Fragen. Und in Arbeitsgruppen (etwa zur Um­setzung von Richtlinien) hört man noch allzu oft, dass doch wohl nicht ausgerechnet Österreich berufen sei, einen inno­vativen Alleingang zu starten. Diese Einstellung muss sich ändern. Österreich ist geradezu prädestiniert, Brücken zu schlagen zwischen Ost und West, Nord und Süd, und Österreich eignet sich aus verschiedenen Gründen her­vor­ragend als Denk­werkstatt für ganz Europa und darüber hinaus: Vor­denken „Made in Austria“ sollte eine der zentralen Devisen für das kommende Jahrzehnt sein.


Über Christiane Wendehorst

Universitätsprofessorin für Zivilrecht an der Universität Wien. Grün­dungs­mitglied und Präsi­dentin des European Law Institute (ELI), Vor­sitzende des Aka­demie­rats der Österreichischen Akademie der Wissen­schaften (ÖAW), stv. Vor­ständin des Instituts für Innovation und Digitalisierung im Recht sowie Mitglied in zahlreichen weiteren Kommissionen und Insti­tu­tionen. Aktueller Schwerpunkt: rechtliche Herausforderungen der Digi­tali­sierung. [Foto: © Georg Wilke]