2021 – Andreas Gerstenmayer


// Schlüsseltechnologie Mikroelektronik //

In welcher Verfassung ist die Mikroelektronik in Europa, in Österreich? Wie kann Europa die Wettbewerbsfähigkeit im Bereich der Mikroelektronik sicherstellen und welche Rolle spielt dabei Österreich, die Steiermark?

Gegenwärtig findet zwischen Asien und den USA ein „Kalter Krieg“ im Bereich Technologie statt. Daten, die teil­weise schon als das Erdöl des 21. Jahrhunderts bezeichnet werden, nehmen hier einen wichtigen Stellenwert ein. Ihre Generierung, Prozessierung, Verarbeitung, Transport und Speicherung erlangen durch die voranschreitende Digitalisierung eine immer größer werdende Bedeutung. Dieser Markt wird dominiert von Asien (36 Prozent) und den USA (35 Prozent). Die Intelligenz bzw. IP und Services be­findet sich größtenteils in den USA – Server- und Netz­werk­infra­struktur wird von Unternehmen wie etwa Intel, AMD, Cisco Systems oder Juniper Networks dominiert und der Geschäftsbereich Services von den vier Konzernen Google, Facebook, Amazon und Apple. Jene Unternehmen, die diese Entwicklungen produzieren und daraus resultierend sukzessive eigene IP entwickeln, finden sich vor allem in Asien.
2013 schon hatte sich die EU zum Ziel gesetzt, im Bereich der Mikroelektronik bis 2020 einen Weltmarktanteil von 20 Prozent erreichen, doch davon sind wir weit ent­fernt, der europäische Anteil am Halbleiter­markt beträgt der­zeit nur etwa 9 Prozent, Tendenz weiter fallend. In einer Situation, die auch noch durch den US-chinesi­schen Handels­krieg und durch Covid-19 erschwert wird, muss Europa wieder an Bedeutung auf dem Mikro­elektronik­sektor gewinnen und Gegentrends aufhalten.
Europa hat etwa bei Investitionen in Halbleiterfabriken weiter an Boden verloren – der weltweite Anteil an Produktionsinvestitionen fiel von 9 (2008) auf 3 Prozent (2020). Die USA halten sich auf einem hohen 15-Prozent-Niveau, Asien (Taiwan, Korea und vor allem China) haben sehr stark an Boden gewonnen. In all diesen asiatischen Ländern gibt es eine aktive Industriepolitik, die den Elektro­nik- und Halbleitersektor sowohl punkto F&E als auch bei Produktionsansiedelungen stark unterstützt. Will Europa nicht weiter an Boden verlieren und künftig im Bereich der Mikroelektronik mitgestalten, braucht es neben der richtigen Positionierungsstrategie auch kon­krete Maßnahmen. Es reichen nicht Überschriften, wie die „European Cloud“, sondern es braucht Inhalte und Taten.
Das Herunterfahren vieler Branchen und des Großteils des öffentlichen Lebens ab März 2020 führte schlagartig den aktuellen Stand der Digitalisierung mit einigen un­ge­hobenen Potentialen vor Augen. Man muss davon ausgehen, dass viele der kurzfristig angestoßenen Ver­ände­rungen nachhaltig sein werden. Gerade die Steiermark als eine der führenden Forschungsregionen Europas mit einer F&E-Quote von rund 5 Prozent darf hier den Anschluss nicht verlieren.
Der Forschungsrat Steiermark hat sich bereits in den Monaten vor Covid-19 mit einem Strategiepapier zur Etablierung einer Steirischen Modellregion Digitalisierung in ausgewählten steirischen Stärkefeldern beschäftigt. Die wichtigsten strategischen Leitlinien dabei sind die Stärkung der Humanfaktoren und eine klare Schwer­punkt­setzung in den steirischen Stärkefeldern (Mobilität, Cybersecurity, Mikroelektronik/Electronic Based Systems). Eine Breitenwirkung kann vor allem durch den Aus­bau der digitalen Infrastruktur, durch die Entfaltung der Vor­bild­wirkung der öffentlichen Hand und die Sichtbarmachung digitaler Leuchtturmprojekte erzielt werden.
Mikroelektronik ist eine Schlüsseltechnologie, bei der wir erst am Anfang stehen. Digitalisierung und die damit verbundene nötige Mikroelektronik verändern nicht nur die Bedeutung von Raum und Distanz, sondern auch die Arbeit und Ausbildung gleichermaßen. Vor allem in der Lehrerausbildung muss diese Entwicklung berücksichtigt werden. Sowohl für Auszubildende als auch Ausbilder bietet die Digitalisierung gleichermaßen viele Chancen, denn es müssen neue Berufsbilder geschaffen werden, weil in der Ära der Digitalisierung viele neue Berufe entstanden sind und entstehen werden. Und hier muss auch das Thema Humankapital angesprochen werden: Dieses ist nicht nur für das Wachstum eines Unternehmens (überlebens)wichtig, sondern für eine ganze Region essenziell.
Unternehmen, aber auch die Politik, müssen – und hier sind wir beim Thema Humankapital – nicht nur in gute Arbeits­bedingungen, sondern vor allem in die Fähigkeiten der Menschen und in deren Ausbildung investieren. Durch diese Kompetenzsteigerung der Mitarbeiter werden diese nicht nur engagierter und motivierter, sondern es profitiert das Unternehmen, weil die Produktivität steigt. Eine nach­haltige Digitalisierung würde für Europa eine Vielzahl an neue Chancen bieten. Mit dem Rohstoff der digitalen Welt, der Daten, sollte aber sorgsam umgegangen, und digitale Technologien ökologisch nachhaltig gestaltet werden. Der „Digital Green Deal“ soll dabei unterstützen, digitale Technologien sowohl als Triebkraft für Innovationen als auch für die ökologische Transformation zu nutzen und eine Schnittstelle zwischen Umweltschutz und Digi­tali­sierung schaffen. Technologieentwicklung in diesem Bereich legen, um jene Stärkefelder zu finden, mit der wir die Digitalisierung nicht nur aktiv mitgestalten, sondern mit der wir eigenes IP entwickeln. Diese Para­meter sind die Basis dafür, dass sich künftig wieder jene europäischen Hardware- und Software-basierten Unter­nehmen ent­wickeln, die mit ihren Produkten die globale Digitalisierung vorantreiben. Dieser Kontinent braucht Unternehmen von der Größe wie Google, Facebook oder Apple. Europa muss eine technologische Renaissance gelingen, um an die Erfolgszeiten vor beinahe drei Jahr­zehnten anschließen zu können.


Über Andreas Gerstenmayer

Absolvent der Studienrichtung Produktionstechnik an der Fach­hoch­schule Rosenheim. Seit 2010 Vorstandsvorsitzender des Leobener Leiter­platten­her­stellers AT&S Austria Technologie & Systemtechnik AG. Seit 2012 Vorsitzender des Forschungsrates Steiermark. [Foto: © Marija M. KANIZAJ]