2016 – Thema E – Verena Winiwarter


Von der Überlebens-Kultur

Kulturen sind auf kreative Weise verschiedene Formen des Zusammenlebens, in denen die menschliche Sinnsuche aufge­hoben ist. Sie stellen verschiedene Wege dar, auf denen sich Menschen in den Gegebenheiten ihrer Um­gebung einrichten, von der Wüste bis zum Eismeer, von der Küste bis zum Berggipfel.

Kulturelles Erbe ist immer auch ökologisches Erbe, denn es entsteht durch Veränderung der Natur. Antike Aquae­dukte sind nur ein augenfälliges Beispiel für das Prinzip. Doch die Vergangen­heit ist nicht nur positiv, auf der Soll­seite steht die schwierige Hinterlassenschaft, die Altlast, die uns Arbeit und Sorge macht. Beispiel gesucht? Wirk­liche „End“-Lager für Atommüll sind unmöglich – niemand kann sicher­stellen, dass in 50.000 Jahren jemand unsere Warn­zeichen versteht.

Kein einziger Mensch auf der Erde ist ausgenommen von atomarer Bedrohung, ebenso wenig wie von der Be­drohung durch Klimawandel. Doch HALT! Steht dieser Bei­trag nicht an der falschen Stelle? Sollte er nicht beim For­schungs­bedarf stehen? Nein. Er gehört zum Nach­denken über Kultur und ihre kreative Ausprägung, die Kunst.

Denn eine zukunftsfähige Welt braucht eine Über­lebens-Kultur. Sie braucht neue Erzählungen, um andere Sinn­an­ge­bote machen zu können. Sie braucht Poesie, Schön­­heit, Kreativität, die uns gemeinsam die Kraft geben, andere Wege zu gehen. „Nachhaltigkeit“ ist für mich die neue große Erzählung, die ein neues Haus der Bedeutung, eine Über­lebens-Kultur möglich macht.

Kulturelles und natürliches Erbe sind freilich auch für die Sicherung der ökonomischen Basis nach­haltiger Ent­wicklung unabdingbar. Zerstörung ist niemals umwelt­freundlich, Krieg daher immer ein Nachhaltigkeitsproblem. Zudem erzeugt er besondere Altlasten und vernichtet kost­bares Natur­erbe. Friedens­erziehung ist daher unab­dingbarer Teil der Über­lebens-Kultur.

Im Donauraum sind viele Probleme konzentriert, sie betreffen alle, die die Wasser der Donau verbindet: Nationa­lismen, unter deren Räder Menschen wie Natur geraten, öko­­nomische Prob­leme, Altlasten, die ein exorbi­tantes Wasser­gefähr­dungs­potenzial haben und vieles mehr. Wir haben eine Gruppe von Wissen­­schaftlerInnen der Donau­länder ein­ge­laden, einen gemein­samen Schritt zu gehen. Ein „White Paper“ zur integrierten nachhaltigen Ent­wicklung des Donau­raums liegt nun vor:
www.danubefuture.eu


Über Verena Winiwarter

Verena Winiwarter ist Professorin für Umweltgeschichte am Institut für Soziale Ökologie der Alpen-Adria Universität Klagenfurt am Standort Wien. Die ehemalige Dekanin (2010-2016) der Fakultät für interdisziplinäre Forschung wurde Ende 2013 zur österreichischen WissenschaftlerIn des Jahres gewählt. Die Deutsche Umweltstiftung wählte ihr gemeinsam mit dem Geographen Hans-Rudolf Bork verfasstes Buch „Geschichte unserer Umwelt. Sechzig Reisen durch die Zeit“ 2015 zum Umweltbuch des Jahres 2015.