2016 – Thema D – Hildegunde Piza-Katzer


Medizin: Ausbildung und Berufsethos der Zukunft

1) Bildungsstandort Medizin: Österreich ist mit medizinischen Ausbildungsstätten – öffentlicher und privater Träger – überflutet. Die Ironie: Ein Wechsel von einem zum anderen Standort ist nicht möglich. Man weicht ins Ausland aus, das einfacher geht, als von Graz nach Wien zu übersiedeln. Welches Rektorat fragt systematisch nach den Gründen der Abwanderung der Alumni? Wo wird analysiert, was besser zu machen ist? Sind die Lösung einfach mehr Ausbildungsplätze – öffentlich und privat –, mehr Produktion von Medizinern? Nachdenken gefragt.

2) Ärztliche Ausbildung: Bei Hippokrates hieß es: Erst das Wort, dann die Arznei, dann das Messer. Die medizinische Ausbildung ist seit dem „neuen UOG“ verschult, die Vermittlung von Kommunikation, Menschlichkeit und ethischer Kompetenz wenn überhaupt, dann ein Randthema. Doch der Arzt-Beruf umfasst die Sorge um den Patienten als ganzen Menschen.
Kann ein junger Mensch den Anforderungen eines Kranken mit all seinen Nöten und bei ihm Hilfe Suchenden gerecht werden, wenn er/sie kaum Voraussetzungen mitbringt die ihm akademisches Denken, Analysieren, Abwägen und Entscheidungen treffen ermöglichen? Wie steht es um die Vorbilder in der Ausbildung, um Räume des Denkens und Austausches? Wie lässt sich „die Erosion der humanistischen Qualitäten“ (R. Schwartzstein, Harvard) in der Medizin verhindern? Wo lernen junge Mediziner in Österreich ethische Überlegungen anzustellen?
Medizinstudenten brauchen Lehrer – lebende Vorbilder, die Zeit haben, um mit ihnen zu diskutieren, sie einzuführen in schwierige Themen wie Therapiebegrenzung, ärztliches Gespräch, Wunschmedizin, Reproduktionsmedizin, Medizin am Ende und Anfang des Lebens usw. Andere Länder arbeiten an einem medizinischen Ethikunterricht, der systematisch in der Ausbildung verankert ist.

3) Maßhalten im Gesundheitswesen: Österreich hat ein hohes Niveau in Medizin und Gesundheitswesen, das der breiten Bevölkerung zur Verfügung steht. Die Schattenseite: Die Ansprüche an die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens werden übermäßig, ja grenzenlos. Es herrschen ein andauernder und starker ökonomischer, politischer und menschlicher Druck sowie die Tendenz, Gesundheit im Sinne einer maximalen Leistungsanforderung zu steigern. Dies führt zu unnötigen Untersuchungen, überflüssigen Therapien bis hin zu schädigenden Übertherapien: Die Anerkennung von Grenzen ist eine unabdingbare Voraussetzung für einen ökonomischen und menschlichen Realismus im Gesundheitswesen. Die Medizin der Zukunft muss Kranken eine angemessene und sinnvolle Behandlung gewähren, aber davon Abstand nehmen, Gesunde zu „behandeln“ oder zu „verbessern“.


Über Hildegunde Piza-Katzer

Fachärztin für Plastische- und Wiederherstellungschirurgie. Von 1991 bis 2014 vielfältige Tätigkeiten in verschiedenen medizinischen wissenschaftlichen Gesellschaften, hielt rund 800 Vorträge und ver­fasst knapp 300 wissenschaftlich Arbeiten. Sie ist Ehrenmitglied in vielen wissenschaftlichen Gesellschaften und erhielt zahlreiche Aus­zeichnungen.