Das Land vergisst seine Berufung
Es ist nun mehr als ein Vierteljahrtausend her, dass die berühmte Schrift „Österreich über Alles, wann es nur will“ erschienen ist. Dieses Dokument hat jetzt wieder eine wirklich unerwartete Aktualität. Während es vor Jahrhunderten mehr um die Frage ging, ob Österreich seine Interessen und Vorstellungen energisch durchbringt, so ist es heute absolut unklar, was Österreich eigentlich will. Ich gebe nur ein paar Beispiele: Der wirtschaftliche Aufstieg dank der Europäischen Union ist unfassbar. Man muss zum Beispiel nur das Burgenland ansehen, wie es vor 30 Jahren ausgesehen hat und wie es heute aussieht. Das ist nicht nur Dank dem guten Wein, sondern auch durch beträchtliche Subventionen der Europäischen Union aufgebaut worden. Unzählige andere Infrastrukturmaßnahmen wurden nur durch Mithilfe der Europäischen Union realisiert und viele Betriebe in Österreich profitieren enorm von den Möglichkeiten, die es ohne die EU so nicht gäbe. Anstatt, dass die Österreicher begeisterte Vorkämpfer wären, Initiativen ergriffen und zeigten, wie sehr sie diese Mitgliedschaften schätzen und wie sehr sie sie für sich und die Umgebung ausnutzen wollen, raunzen sie die ganze Zeit und beklagen sich über die Europäische Union. Man braucht nur in ein beliebiges Wiener oder auch steirisches Beisl zu gehen, und schon hört man das Klagen. Österreich ist zweifelsohne ein klassisches mitteleuropäisches Land, benachbart nicht nur mit Deutschland, Italien, Liechtenstein und der Schweiz sondern auch mit Slowenien, Ungarn, der Slowakei und der Tschechischen Republik. Auch da würde man erwarten, dass Österreich in seinem Wohlstand und seiner europapolitischen Erfahrung eine besondere Rolle spielen würde. Nicht im Geringsten – Österreich scheint der Illusion zu erliegen, dass es noch immer Vorderösterreich ist. Die Nachbarn wären Deutschland, die Schweiz und das Elsass, was aber weit entfernt ist, sind die anderen Staaten, die ich vorher erwähnt habe. Österreich betont auch immer, wie sehr es zu Westeuropa gehört. Wie immer, wenn jemand etwas zu sehr betont, entspricht es nur selten den Tatsachen. Das Land vergisst seine Berufung, welche es durch Jahrhunderte gehabt hat.
Zurecht ruft Österreich nach einer effektiven Verteidigung der Grenzen der Europäischen Union, nur seine eigene Armee hat es durch Jahrzehnte vernachlässigt und am Existenzminimum gehalten. Wie kann man von anderen eine Leistung verlangen, die man selbst unterlassen hat?