2021 – Doris Kampus


// Das Soziale ist wieder und weiter notwendig //

Wer hätte vor einigen Monaten für möglich gehalten, dass erst ein Textilstück (de facto einschließlich Impfung oder Test) den Zugang zum öffentlichen Leben ermöglicht? Für wen war es vorstellbar, dass Begriffe wie Infektiosität, FFP2-Maske, Sieben-Tages-Inzidenz oder PCR-Test in den allgemeinen Wortschatz eingegangen sind und wie selbstverständlich verbreitet in der Alltagskommunikation verwendet werden? Und weiter: In wessen Phantasie hatte es Platz, dass sich ein großer Teil der Bevölkerung nicht an seinem bisherigen Arbeitsplatz befindet, sondern diesen Arbeitsplatz nach Hause verlegt hat? Wer hielt landesweit geschlossene Schulen (außerhalb der Ferien) für einen in Summe monatelang anhaltenden „Normalzustand“?
Das sind nur einige Indizien dafür, dass die Corona-Pandemie auch eine neue Zeitrechnung eingeläutet – mit Folgen in allen Lebensbereichen – hat. Auch im „Sozialen“, das hier durchaus im angelsächsischen Sinne weiter gefasst verstanden wird, nämlich als Synonym für Gesellschaftspolitik im Ganzen.
Zurückblickend auf die ersten beiden Corona-Jahre soll freilich ebenso vermerkt werden, dass das Sozialsystem zu jedem Zeitpunkt abgesichert und funktionstüchtig war – zum Beispiel für Menschen in sozialen Notlagen, für Menschen mit Behinderung, aber auch für Kinder und Jugendliche in der Steiermark, die durch die Kinder- und Jugendhilfe Unterstützung brauchen.
Leider haben sich aber auch der Vorrat an Gemeinsamkeiten und die Bereitschaft, Einschränkungen zu folgen, erschöpft und (zum Teil fragwürdigen) Partikularinteressen Platz gemacht. Es erfüllt jedenfalls mit Sorge, dass das Coronavirus nicht nur Schmerzen, Leid und Trauer in Tausenden Familien hinterlassen hat, sondern dass es ihm auch zunehmend gelungen ist, wie ein Spaltpilz in unsere Gesellschaft einzudringen und Menschen und Meinungen gegeneinander aufzubringen. Wieder mehr Zuhören und Aufeinander-Zugehen, mehr Argumente und weniger Emotionen wären ein soziales Rezept, das wir uns alle, die guten Willens sind, gegen diese zentrifugalen und zerstörerischen Kräfte verschreiben sollten.


Über Doris Kampus

Studium am Institut für Übersetzung und Dolmetscherausbildung. Per­sonal­entwicklung in einem Logistikunternehmen, Geschäfts­führerin EU-Regionalmanagement Obersteiermark Ost, Unter­nehmens­beraterin. Ab 2008 Abteilungs­leiterin für die Landes- und Gemeinde­ent­wicklung. Seit Juni 2015 Landesrätin der Steiermark, seit Dezember 2019 Landes­rätin für Arbeit, Soziales und Integration. [Foto: © Peter Drechsler]