2021 – Barbara Stelzl-Marx


// Zukunft braucht Herkunft //

100 Jahre Österreichische Bundesverfassung, 75 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges, 25 Jahre Österreich in der Europäischen Union: 2020 war ein Jahr der Jubiläen, der Meilensteine der Zweiten Republik, wie etwa die gleichnamige Ausstellung des Österreichischen Parlaments am Wiener Heldenplatz betonte. In unterschiedlichster Form wurde dieser Fundamente gedacht, die die Entwicklung der österreichischen Gesellschaft positiv geprägt, zur Formierung einer österreichischen Identität wesentlich beigetragen haben.
Spuren der Vergangenheit sind häufig – auf den ersten Blick – unsichtbar, doch nichtsdestotrotz vorhanden, gleichsam subkutan, eingebrannt in Biografien ebenso wie in Landschaften. Wie gehen wir gerade mit den „dunklen Flecken“ in unserer Geschichte um? Was wurde und wird verdrängt, vergessen, schwelt gleichsam im Untergrund fort? Welche Fundamente – auch im wahrsten Sinne des Wortes – treten zu Tage, wenn Bagger an Orten wie dem ehemaligen Lager Liebenau die Grasnarbe abheben und Verborgenes freilegen? Was sagen Diskurse zu identitätsstiftenden Symbolen einer Stadt wie Straßennamen und Denkmälern über Geschichtspolitik und Erinnerungskultur aus?
Eine kollektive Form des Erinnerns kann nur dann geschehen, wenn das zu Erinnernde in ein öffentliches Bewusstsein gerät, wenn es von einem kommunikativen in ein kulturelles Gedächtnis übergeht. Durch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wird zugleich die Zukunft unserer Gesellschaft offener und bewusster verhandelt.


Über Barbara Stelzl-Marx

Universitätsprofessorin für europäische Zeitgeschichte an der Uni­versität Graz und Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegs­folgen­for­schung, Graz–Wien–Raabs. Außerdem Vizepräsidentin der Öster­reichi­schen UNESCO-Kommission. „Wissenschafterin des Jahres“ 2020. Autorin bzw. Heraus­­geberin zahlreicher Publikationen, etwa über die sow­je­ti­sche Be­satzung 1945 bis 1955. Forschungsschwerpunkte u.a. Kriegs­folgen, Kalter Krieg, Kinder des Krieges, Migration und Sta­lins Pro­pa­ganda. [Foto: © Foto Furgler]