2018 – Herwig Hösele


Innovationskraft prioritär auf den Klimaschutz lenken
„Im Übrigen halte ich nicht die Migration, sondern den Klimawandel für das wichtigste Thema unserer Zeit.“ Für diese Aussage erhält Bundespräsident Alexander Van der Bellen regelmäßig viel Applaus. Und ohne Zweifel sind die Ökologie, der Klimaschutz und die Energiewende gewaltige Herausforderungen, denen sich Politik und die Zivilgesellschaft global, national, regional und lokal stellen müssen.
Aber es sollte kein Gegensatz Ökonomie versus Ökologie, Migration versus Klimawandel konstruiert werden, selbst wenn es große Spannungsfelder gibt. Aber sind nicht das Klima, also verödete Landstriche, abgeholzte Wälder, unfruchtbare Böden und damit schlechte Ernährungs- und Arbeitsmöglichkeiten, wesentliche Treiber der Migration? Es geht also um eine vernetzte gesamthafte Betrachtungsweise.
Dazu einige Fragen und Anmerkungen, vor allem im Blick auf die hochentwickelten Wohlstandsgesellschaften. Unbestritten ist, dass ressourcenschonende und nachhaltige Produktions- und Lebensweise bzw. „Dekarbonisierung“ absolute Priorität haben müssen.
Warum hat die faszinierende Ingenieurkunst der europäischen Autoindustrie in den letzten Jahrzehnten immer mehr in immer schnellere und größere Autos mit PS-Stärken, die normalerweise nie im regulären Straßenverkehr zum Einsatz kommen können und dürfen, investiert, statt in Autos mit gegen Null tendierenden Emissionen? Welcher Antriebsstoff die Autos der Zukunft unter diesen Prämissen und umfassend berücksichtigter Energiebilanz tatsächlich bewegen wird, wird von innovativer Wirtschaft und Wissenschaft zu klären sein.
Warum wird das Schlagwort von der „sanften Mobilität“ so zaghaft als Handlungsaufforderung verstanden? – Ein wesentlich besseres „öffentliches Verkehrsnetz“ (Fernverbindungen, vor allem aber auch S-Bahnen, U-Bahnen etc.) und gezielte Förderung des Radfahrens (wie z.B. in Amsterdam) gehören genauso dazu wie Park & Ride. Vor fünf Jahrzehnten wurden heute allseits geschätzte städtische Fußgängerzonen nicht selten als Tod der Wirtschaft verteufelt, warum sollten mit entsprechenden Rahmenbedingungen nicht größere verkehrsberuhigte Innenstadtzonen geschaffen werden? Natürlich stellen sich auch für die Raumordnung wichtige Fragen: Wie verhindert man die Versiegelung der Böden und die Zersiedelung bzw. Verhüttelung der Landschaft?
Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass die thermische Gebäudesanierung enorme Energie-Effizienzpotenziale birgt. Eine solche Sanierungsoffensive wäre höchst angebracht.
Die Liste dieser Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen. Ich bin überzeugt davon, dass, wenn die richtigen „Incentives“, also politischen Vorgaben – und auf die kommt es an – gesetzt werden, die Innovationskraft von Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft gerade auch in Österreich und Europa im 21. Jahrhundert gewährleistet ist. Die Vision wäre jedenfalls das, was Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer anlässlich des ersten Symposiums „Österreich 22“ im Oktober 2016 formuliert hat: „Europa zeichnet sich im Vergleich durch ein großes Maß an Lebensqualität sowie durch höchste Sozial- und Umweltstandards aus. Empfinden wir diese Umstände nicht immer als Wettbewerbsnachteil, sondern arbeiten wir daran, dass wir das zum Exportschlager machen können.“


Über Herwig Hösele

Ehem. Präsident des Bundesrates und mit Andreas Khol Initiator des Österreich-Konvents 2003, ehrenamtl. Generalsekretär der Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform, ORF-Stiftungsrat, Präsident des Club Alpbach Steiermark, Koordinator der Reihe Geist & Gegen­wart in der Steiermark, ab 2011 Generalsekretär und seit 2019 Vor­sitzender des Zukunftsfonds der Republik Österreich. Seit 2018 auch Vorsitzender des Universitätsrates der Kunstuniversität Graz. [Foto: © Parlamentsdirektion Bildagentur Zolles KG/Leo Hagen]