2018 – Claus J. Raidl


Thesen zur Zukunft der Republik
In einer oberflächlichen Analyse könnten sich die Österreicher im Jahr 2018 beruhigt zurücklehnen. Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit, Budgetdefizit, Exportleistung, Lohnerhöhungen, allerdings auch Steuereinnahmen – all diese Zahlen haben sich gegenüber den Vorjahren (zum Teil stark) verbessert. Diese Momentaufnahme zeigt aber nicht die strukturellen (so nennt man das) Probleme des Landes. Wo ist die große Bildungsreform, die Gesundheitsreform (Spitalkosten!), die Pensionsreform, wann wird ernsthaft über einen neuen Aufbau des Staates (Föderalismus) diskutiert und wie kommen wir zu einer halbwegs klar definierten Einwanderungspolitik? Dies sind nur einige Gebiete, die man so allgemein als Strukturreformen bezeichnet.
Das Besondere in Österreich ist jedoch, dass all diese Fragen von (fast) allen als zu lösende Probleme anerkannt werden, aber es ist nicht möglich, Lösungen zu erzielen und umzusetzen.
Warum ist das so? Ich sehe vor allem drei Gründe für die Unfähigkeit der Österreicher (oder Österreich als Kollektiv), Reformen anzupacken und durchzusetzen:
1. Wir sind zur Konfliktscheue und zu einer (verlogenen) Konsensmentalität erzogen worden. Wir haben (im Gegensatz zu Deutschland) keine Diskussionskultur. Anstatt in einer Diskussion die Standpunkte darzulegen und hart über alle pro und contra zu reden, gilt bei uns der furchtbare Spruch: Wir werden keinen Richter brauchen, wir sind gut zueinander. Man sieht den Kompromiss vor dem Konflikt!
2. Große und wichtige „Stakeholder“ (Bundesländer, Kammern, Kirche, NGOs u.a.) sehen zwar auch die Notwendigkeit von Veränderungen, sind aber nicht bereit, Kompetenzen, Einflussmöglichkeiten („Macht“) für eine vernünftige „große“ Lösung abzugeben. Nehmen wir als Beispiel die Standorte der Spitäler: Jedes Bundesland optimiert (hoffentlich) seine Spitalsstandorte. So haben wir neun Suboptima statt einer gesamtösterreichischen Lösung. Jeder verfolgt eben sein kleines Gruppeninteresse und an die große Gemeinschaft denkt keiner („jeder denkt an sich und an den Staat denkt keiner“).
3. Es fehlt an politischer Leadership (wird vielleicht jetzt besser). Wo ist der Politiker, der von einer Sache überzeugt ist, den Mut hat, auch gegen Umfragen und Zeitungskommentare eine Lösung zu verfolgen und die Fähigkeit mitbringt, eine Mehrheit zu finden?
Dies nur einige Gedanken zu unserer Konferenz „Österreich 22 – Neue Impulse“.


Über Claus J. Raidl

2008 bis 2018 Präsident der Oesterreichischen Nationalbank. Unter anderem ehem. Vorstandsvorsitzender der Böhler-Uddeholm AG sowie Mit­glied des Vorstandes der voestalpine AG. Weiters Vorsitzender des Kura­toriums der I.S.T. Austria (Institute of Science and Technology – Austria), langjähriger Vizepräsident des Europäischen Forum Alpbach und in ver­schie­denen anderen Funktionen tätig. [Foto: © OeNB]