2018 – Christian Lagger


Der Kurz-Faktor
Kanzler kommen und gehen. Das ist das Wesen von Demokratie. Es wird gewählt und manchmal vielleicht auch abgewählt. Gewählt werden Parteien und die sie repräsentierenden Persönlichkeiten. Manchmal werden Parteien Bewegungen genannt. Vielleicht wird damit gesagt, dass auch Parteien sich entwickeln, verändern und sich möglicherweise auch verbessern. Besser werden ist eigentlich immer wünschenswert. Wenn es auf Parteien zutrifft, ist es gut für das Staatsganze und für die Menschen. So darf gehofft werden.
Emmanuel Jean-Michel Fréderíc Macron hat seine Partei „La République en Marche“ genannt und ist als Wahlsieger seit Mai 2017 Staatspräsident von Frankreich. Sebastian Kurz trat im Oktober 2017 mit „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“ an und wurde mit 31,7 Prozent der Stimmen Wahlsieger und am 18. Dezember 2017 Bundeskanzler der Republik Österreich. Er ist der jüngste amtierende Regierungschef weltweit. Mit seiner „türkisen Bewegung“ will er erneuern und verändern. Dies soll in Österreich geschehen, aber auch in Europa. Die Welt ist anspruchsvoll. Der Gestaltungswille von Politik ist gefordert. Klima, Migration, wirtschaftliche Umbrüche und topografische Entwicklungsverlagerungen, Alterspyramide, der Nahe Osten, weltweit ungleich verteilte Lebenschancen, Digitalisierung, Globalisierung, …
Generell wird derzeit viel von identifizierten Gefährdungen der Demokratie gesprochen: Die autoritäre Persönlichkeit, die zeigen solle, wo es lang geht, sei zu hoch im Kurs; ein Rechtsruck innerhalb der Staaten von Europa und auch in Österreich würde nationalistische Gebärden und Sprachformen wieder hoffähig machen; von Engführungen und Verkürzungen der politischen Inhalte und von brückenloser linker und rechter Extremisierung ist in manchen Kommentaren zur Lage die Rede… Doch was ist wirklich? Was sollte sein? Was ist wünschenswert für Demokratie?
In einer substanziell gesunden Demokratie geht es immer um das Miteinander. Das Ringen und Streiten darf, ja muss hart geführt werden, wenn klar bleibt, dass das Staatsganze, die Menschen und das Gemeinwohl orientierend im Blick bleiben. Demokratie braucht Regierung und Opposition gleichermaßen. Ist ein Teil schwach, ist Demokratie schwach. Bürgerinnen und Bürger sollten immer beides wollen. Deshalb verlangt der von LR Christopher Drexler um der Demokratie willen eingebrachte Hinweis auf die gegenwärtige Schwäche der Opposition zu Recht nach kluger Aufmerksamkeit. Gerade aber auch deshalb sollte eine Regierung nicht „stillos korrekt“ (CR Hubert Patterer) sein wollen. In einer Demokratie ist Stil Atemluft. Das Selbstverständliche ist nicht selbstverständlich. Deshalb sollten eingeübte parlamentarische Konsultationsvorgänge nicht nur geduldet, sondern gewollt und aktiv gestaltet werden.
Viel ist in unserer Republik in den letzten Jahren zum lähmenden Schauspiel geworden. Das nimmt Freude an Politik und kostet Glaubwürdigkeit. Bundeskanzler Kurz hat schon in seinen Wahlreden Gestaltungswillen stark gemacht. Die gegenwärtige Regierung widmet sich dem Gestalten. Es geht um Zukunft und die Fähigkeit, gute Zukunft für Österreich und Europa inmitten der global verbundenen Welt zu ermöglichen.
Dies braucht aber politisch engagierte und sich engagierende Bürgerinnen und Bürger, die erkennen, dass es auch um sie geht – um ihre und nicht eine abstrakte Zukunft. Wünschenswert wären in diesem Sinne viele junge Menschen, die Freude am politischen Engagement entfalten. Ein junger Kanzler, der gestalten will, kann motivierend dafür sein. Dann lebt Demokratie. Dann wäre der Kurz-Faktor ziemlich nachhaltig.


Über Christian Lagger

Studien der Theologie, Philosophie, Business Administration in Salz­burg, Innsbruck, Graz, Wien. Seit 2010 Geschäftsführer bei den Elisa­bethinen (u.a. Krankenhaus der Elisabethinen GmbH; Elisabethinen Graz-Linz-Wien Service und Management GmbH), seit 2016 Sprecher der Elisa­bethinen Österreich. Lehrender an der FH Joanneum und an der Uni­versität Graz. Seit 2021 Präsident des internationalen For­schungs­zentrums für soziale und ethische Fragen (ifz). [Foto: © Stephan Friesinger]