2018 – Marc Fähndrich


Strukturreformen für Österreich

Die Europäische Kommission analysiert im Rahmen des Europäischen Semesters (zentrales wirtschaftspolitisches Steuerungsinstrument der EU) die Notwendigkeit großer Reformen für die EU und Österreich. Gemeinsam mit der österreichischen Bundesregierung sowie den EU-Institutionen (insbesondere Rat und Europäisches Parlament) werden für jedes Land große Herausforderungen definiert, deren Lösung eine gesamteuropäische Dimension hat. Anhand von Länderempfehlungen werden sehr genau die „strukturellen Schwächen“ der EU-Mitgliedstaaten beschrieben. Diese basieren auf einer sorgfältigen Analyse (niedergeschrieben im sogenannten Länderbericht), welche von der Europäischen Kommission nach umfänglicher Konsultation mit Regierungsstellen, Bundesländern, nationalen Interessengruppen (u.a. Sozialpartnern) und Experten erstellt wird.
Hierzulande behindern neben den hohen Staatsschulden inkongruente Beziehungen zwischen Bundes- und Landesebene die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. So sind die Bundesländer für deutlich mehr Ausgaben zuständig, als sie selber durch Steuern und Abgaben einnehmen. Im österreichischen Föderalismus führen auch Überschneidungen von Kompetenzen zu Ineffizienzen.
Deutlich wird dies z.B. am österreichischen Gesundheitswesen, welches zu den teuersten in Europa gehört (ca. 1000 Euro pro Kopf teurer als der EU-Durchschnitt). Allerdings sind dessen Ergebnisse nicht entsprechend gut. Die Lebenserwartung ist nur leicht überdurchschnittlich, die Anzahl der „gesunden Lebensjahre“ ab dem Alter von 65 liegt sogar unter dem EU-Durchschnitt. Auch sind die vermeidbaren Todesfälle im Vergleich zu vielen anderen EU-Staaten relativ hoch und liegen deutlich unter den „Besten“ wie Spanien oder Frankreich. Hingegen hat Österreich nach Griechenland die höchste Anzahl an Ärzten in der EU. Es mangelt also an Effizienz. Was sind die Ursachen für dieses Missverhältnis zwischen Kosten und Ergebnissen?
Österreich weist im EU-Vergleich ein sehr hohes Ausmaß an „Spitalzentrierung“ auf. Der Krankenhaussektor ist hauptverantwortlich für die hohen Ausgaben im Gesundheitswesen. Die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Krankenkassen führen zu Fehlanreizen, die zu ineffizienten Spitälern und zu einer übermäßigen Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen führen. In den österreichischen Bundesländern wurden Spitäler nicht immer nur aus gesundheitspolitischen Überlegungen gebaut, sondern auch aus arbeitsmarkt- und strukturpolitischen Erwägungen. Dies führte zu unzureichender Koordinierung über die eigenen Landesgrenzen hinaus und vielfach auch zu suboptimalen Behandlungsergebnissen (aufgrund geringer Fallzahlen) sowie überflüssigen Behandlungen für die Patienten. Hingegen fehlt eine ausreichende Primärversorgung, deren Mangel vielfach zu unnötigen Krankenhausaufenthalten beiträgt (z.B. bei Diabetes). Die Gesundheitsausgaben stellen angesichts der rasch alternden Bevölkerung ein Risiko für die mittel- bis langfristige Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen dar.
Auch das durchschnittliche Pensionsantrittsalter liegt mit 60 Jahren und drei Monaten deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Es ist unverständlich, warum Frauen ein fünf Jahre früheres gesetzliches Pensionsantrittsalter haben als Männer, obwohl sie vielfach bei besserer Gesundheit sind. Daher sollte mit der Angleichung schon vor dem Jahr 2024 im Interesse der Frauen begonnen werden. Wir alle freuen uns über eine steigende Lebenserwartung, diese sollte jedoch mit dem Pensionssystem verknüpft sein. Daher wird Österreich im Rahmen des Europäischen Semesters empfohlen, die Tragfähigkeit sowohl des Gesundheitssystems als auch des Pensionssystems wiederherzustellen und gleichermaßen die Kompetenzen der verschiedenen staatlichen Ebenen zu rationalisieren.
Obwohl sich Österreichs Arbeitsmarkt gegenwärtig sehr gut entwickelt, wird das Potenzial von Frauen im Hinblick auf qualitativ hochwertige Vollzeittätigkeiten unzureichend genutzt. Dies zeigt sich an einem deutlichen geschlechtsspezifischen Lohngefälle und dem hohen Anteil an Teilzeittätigkeiten bei Frauen. Ein Ausbau der Kinderbetreuung für die Unter-Dreijährigen würde helfen, dass Familienleben und beruflicher Erfolg besser miteinander vereinbart werden können.

Links:
https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/file_import/2018-european-semester-country-specific-recommendation-commission-recommendation-austria-de_0.pdf
https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/2018-european-semester-country-report-austria-de.pdf
https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/state/docs/chp_at_german.pdf


Über Marc Fähndrich

Wirtschaftswissenschaftler, seit 2000 EU-Beamter. Langjähriger stv. Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, verschiedene Funktionen in Brüssel. Seit 2012 verantwortlich bei der Vertretung der Europäischen Kommission in Wien für den Bereich "Wirtschaftspolitik und Europäisches Semester“. [Foto: © APA-Fotoservice Tanzer]